Interner Bereich
18. Dezember 2024

Von guten Mächten wunderbar geborgen...

Eine Betrachtung von Petra Müller zum Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, das er vor 80 Jahren als Weihnachtsgruß an seine Familie verfasst hat

„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“ – vielleicht mögen Sie einen kurzen Moment innehalten und wahrnehmen, was in Ihnen spontan an Gedanken oder inneren Regungen auftaucht, wenn Sie diese fünf Worte lesen.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“ – von der Form her ist es ein gereimtes Gedicht mit sieben Versen, vom Anlass her ein Weihnachtsgruß Dietrich Bonhoeffers an seine Verlobte, seine Eltern und Geschwister, den er noch auf die letzte Seite seines Briefes vom 19.12.1944 „gequetscht“ hat; viel Platz war da nicht mehr und das Papier war knapp geworden. „Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister.“[1] Die Verse sind aus einer schweren, sehr ernsten Situation heraus entstanden, Bonhoeffer musste mit dem Äußersten rechnen. Fast zwei Jahre saß er nun schon im Gefängnis, weil er am aktiven Widerstand gegen Hitler beteiligt war, die Haftbedingungen waren stetig verschärft worden. Die Verse sind ihm mal eben so eingefallen, sie flossen ihm aus der Hand, nein, wohl aus tiefster Seele. Es sind starke Worte, unglaublich verdichtet, so wie sie nur aus ganz besonderen und tiefgehenden Situationen heraus geschrieben werden können. Das spürt auch Bonhoeffer: „Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen.“[2] Es ist ein persönliches Zeugnis, verwurzelt in einer einmaligen, außergewöhnlichen, lebensbedrohlichen Situation – und doch weisen diese Zeilen weit über diese hinaus; nur deshalb finden sich so viele Menschen in diesem Gedicht wieder, nur deshalb gehen uns die Verse immer wieder nahe und zu Herzen. Anfang und Ende des Gedichtes wenden sich an die Adressaten: die erste Strophe an die Familie, die letzte Strophe öffnet einen Raum, in den wir alle hineingenommen werden.

„Von guten Mächten…“ – wie hat man sich diese „guten Mächte“ vorzustellen, die uns treu und still umgeben, die uns wunderbar behüten und trösten, in denen wir uns geborgen wissen, so dass wir getrost erwarten können, was kommen mag? Bonhoeffer verweist auf ein Kinderlied, das ihm vertraut ist: „Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: ‚zweie die mich decken, zweie, die mich wecken’, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder. Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich. Was heißt denn glücklich oder unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht. Ich bin jeden Tag froh, dass ich Dich, Euch habe und das macht mich glücklich. (…) So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes, unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat.“[3]

Die guten Mächte – das sind die Menschen, mit denen Bonhoeffer sich in Gedanken und Gebeten verbunden fühlt, das sind Wegbeleiter, das sind Erinnerungen an gute Stunden und Erlebnisse, das ist vieles, was ihn erfüllt und beschenkt hat, auch Musik, Bücher, längst vergangene Worte. All das ist eine Wirklichkeit, die ihn, die uns umgibt, die verbindet – auch in Abwesenheit. Verbunden mit diesen, seinen „guten Mächten“, will Bonhoeffer getrost durch die Weihnachtstage und ins neue Jahr gehen.

1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Trotz dieser „guten Mächte“ darf  oder muss das Bedrückende des vergangenen Jahres auch Sprache finden. Bonhoeffer und die Seinen, sie sind aufgeschreckt von den Ereignissen des zu Ende gehenden Jahres: das fehlgeschlagene Attentat auf Hitler; Vater und Bruder seiner Verlobten sind an der Front ums Leben gekommen, ebenso einige seiner Schüler und Studenten, dann die erschwerten Haftbedingungen und die Verlegung in ein anderes Gefängnis. Schwere Last liegt auf den Schultern, Angst umschlingt die Seelen, die Herzen sind schwer. Ein Seufzer, ein Schreien aus tiefer Not, er wendet sich an Gott: „Ach Herr.“ Ab hier wird das Gedicht zum Gebet. Bonhoeffer macht Gott nicht verantwortlich für all das Leid, vielmehr wendet er sich ihm zu, ihm, der die Menschen zum Heil erschaffen hat – was für eine Formulierung: Wir sind zum Heil erschaffen.

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Bei der dritten Strophe regt sich oft Widerstand in uns, nicht selten fällt sie der Liedauswahl zum Opfer und wird gestrichen. Bonhoeffer muss mit dem Schlimmsten rechnen, er weiß nicht, was das Jahr 1945 bringen wird, er blickt dem Tod als mögliche Konsequenz ins Auge. Gethsemane klingt an. Es stockt einem fast der Atem. Dankbar ohne Zittern den bitteren Kelch aus Gottes Hand nehmen – das kann kein Mensch, diese Worte gehen einem nur schwer, wenn überhaupt, über die Lippen. Bonhoeffer konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ob ihn dieses Vertrauen im Ernstfall durchtragen wird. Am Ende war es wirklich so. Selbst dann noch, als er am 30.04.1945 im Konzentrationslager Flossenbürg zur Hinrichtung geführt wurde und der Henker ihm den Boden unter den Füßen wegzog, trug ihn dieser Glaube und die Glaubenssätze, die er formuliert hatte: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“[4]

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Und wenn es doch noch eine Wende gibt und alles gut ausgeht? Bonhoeffer gelingt es, auch diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Hoffnung auf Errettung. Wie wichtig ist es, sich diesen Hoffnungsfunken zu bewahren. Ein mögliches neu geschenktes Leben wird ganz besonders kostbar!

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Es ist dunkel, nicht nur im Gefängnis, sondern auch in den Herzen und in der Welt. Bonhoeffer betet nicht gegen diese Dunkelheit an, er weiß, dass Glaube und Gebet keine glückliche Rettung fordern und erzwingen können. Er spürt trotz und in aller Dunkelheit die Nähe Gottes, der sein Licht in jeder Dunkelheit scheinen lässt. In aller Offenheit – was den Ausgang seines Schicksals betrifft – formuliert er – voller Glaubensgewissheit – als Gebet den Wunsch, zu seiner Familie zurückkehren zu können.

5. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

In der Gefängniszelle ist es still, Bonhoeffers Herz ist auch still geworden. Die nachfolgenden Worte klingen ein wenig mystisch. Er sehnt sich nach dem Klang der Chöre des Himmels, sicherlich auch nach den himmlischen Heerscharen, die den Hirten auf dem Feld den Frieden auf Erden verkündet haben.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Mit den guten Mächten vom Anfang schließt das Gedicht. In den Strophen dazwischen ist Bonhoeffer, sind wir, einen intensiven Weg gegangen. Nun ein ruhiger, getroster Blick auf das, was im neuen Jahr kommen wird. In allem Ungewissen die Gewissheit: „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Bonhoeffer verlässt an dieser Stelle die Sprache des Gebetes und formuliert eine vom Glauben getragene Aussage.

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Mehr als 50 Melodien gibt es mittlerweile zu diesem Lied. Ich persönlich mag die Melodie von Otto Abel am liebsten. Es ist die erste Melodie, die das Gedicht bekommen hat, entstanden im Jahr 1959. Sie hat den Weg in den Stammteil des Evangelischen Gesangbuches gefunden (EG 65). Die getragene Melodie ist dem Text angemessen. Darüber hinaus bin ich immer mehr davon überzeugt, dass man, wenn man das Gedicht singt, keine Strophe auslassen sollte – vielleicht eine Zumutung für die Gemeinde. Doch das Gedicht beschreibt einen intensiven Weg der inneren Auseinandersetzung. Bonhoeffer muss die Abfolge der Strophen außerordentlich wichtig gewesen sein; denn es ist das einzige seiner Gedichte, dessen Strophen er nummeriert hat. 

"Von guten Mächten wunderbar geborgen" - mögen wir das immer wieder erfahren.

Petra Müller ist Diplompädagogin für Erwachsenenbildung und Theologie. Sie ist Referentin in der Fachstelle Ältere der Nordkirche im Hauptbereich Generationen und Geschlechter.

[1] Brautbriefe Zelle 92 Dietrich Bonhoeffer – Maria von Wedemeyer 1943-1945, hg. v. R.-A.v. Bismarck u. U. Kabitz. München/Beck 1992, S. 209

[2] Brautbriefe Zelle 92 Dietrich Bonhoeffer – Maria von Wedemeyer 1943-1945, hg. v. R.-A.v. Bismarck u. U. Kabitz. München/Beck 1992, S. 208

[3] a.a.O.

[4] Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1951, 11. Auflage, S. 18

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